NATO-Gipfel in Bukarest 2008

NATO-Gipfel in Bukarest 2008

Der NATO-Gipfel in Bukarest 2008 war der 20.[1] NATO-Gipfel. Auf der diplomatischen Konferenz kamen die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsländer der Organisation des Nordatlantikvertrags vom 2. bis 4. April 2008 in Bukarest, Rumänien, zusammen.

Der Gipfel war in erster Linie dem Krieg in Afghanistan gewidmet. Auf der Tagesordnung standen die Anerkennung des Kosovo, militärische Maßnahmen in Afghanistan, die Erweiterung des Bündnisses, der Beitritt Kroatiens, Albaniens und Mazedoniens sowie der Beitritt der Ukraine und Georgiens zur NATO. Die Beitrittsgesuche der Ukraine und Georgiens werden dort als wesentlich betrachtet, aber vertagt.[2]

Wladimir Putin und der rumänische Präsident Traian Băsescu (4. April 2008)

Im Januar 2008 sandte die Regierung unter Präsident Wiktor Juschtschenko einen formellen Brief an NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer mit der Bitte um Gewährung eines „Aktionsplans für die Mitgliedschaft“ (englisch: Membership Action Plan, abgekürzt MAP) für die Ukraine. Die Antwort von US-Verteidigungsminister Robert Gates lautete zunächst, dass eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine nicht auf der Agenda stünde. Bis März unterstützte die Bush-Regierung jedoch einen MAP für die Ukraine und Georgien. Präsident George W. Bush erklärte kurz vor dem Gipfel: „Die NATO-Mitgliedschaft muss allen europäischen Demokratien offen stehen, die sie anstreben und bereit sind, die mit der NATO-Mitgliedschaft verbundene Verantwortung mitzutragen.“ Eine Einigung zu dieser Frage konnte zwischen den Mitgliedern entgegen den üblichen Gepflogenheiten vor dem Gipfel nicht erzielt werden. Russland veröffentlichte seine Opposition gegen eine Aufnahme der Ukraine und Georgien im Außenpolitischen Konzept von Januar 2008.[3]

Während des Gipfels lieferten sich der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Polens Außenminister Radosław Sikorski einen Schlagabtausch und Deutschland und Frankreich wandten sich mit Unterstützung Großbritanniens gegen eine Mitgliedschaft für die Ukraine und Georgien. Bundeskanzlerin Angela Merkel legte kurz vor der Eröffnung der Plenarsitzung einen Kompromissvorschlag vor, dass die Ukraine und Georgien zwar keinen MAP erhalten würden, dafür sollte in die Gipfelerklärung ein Satz aufgenommen werden, dass beide Länder NATO-Mitglieder werden würden. Die entsprechende Passage in der Erklärung lautete: „Die NATO begrüßt die euro-atlantischen Bestrebungen der Ukraine und Georgiens, die dem Bündnis beitreten wollen. Wir kamen heute überein, dass diese Länder NATO-Mitglieder werden.“[3][4][5]

Am nächsten Tag traf Wladimir Putin in Bukarest zu einem Treffen des NATO-Russland-Rates ein. Damit nahm zum ersten Mal ein russischer Präsident an einem NATO-Gipfel teil. Putin war aufgebracht über die Wortwahl in der Gipfelerklärung und in einem privaten Gespräch mit George W. Bush sagte er: „George, Sie müssen verstehen, dass die Ukraine noch nicht einmal ein Land ist. Ein Teil ihres Territoriums liegt in Osteuropa, und der größte Teil gehört zu uns.“[4] Putin erklärte zudem, das „Auftauchen eines mächtigen Militärblocks“ an seinen Grenzen sei „eine direkte Bedrohung“ für seine Sicherheit. Die Behauptung, dieser Prozess richte sich nicht gegen Russland, reiche nicht aus. Alexander Torschin, stellvertretender Vorsitzender des Föderationsrats, erklärte hingegen, die NATO habe eine vernünftige Entscheidung getroffen, Georgien und der Ukraine keinen MAP zu gewähren. Die Duma, das Unterhaus des russischen Parlaments, verabschiedete kurz darauf eine Erklärung, in der mit der Aufhebung des Vertrags zwischen Russland und der Ukraine von 1997 gedroht wurde, in dem die territoriale Integrität der Ukraine bekräftigt wurde, falls die Ukraine einen MAP erhalten würde.[3][6]

Die Politikwissenschaftlerin Angela Stent kritisierte, dass der Kompromissvorschlag in der Gipfelerklärung in vielerlei Hinsicht das Schlimmste aus beiden Welten vereinte. Weder Georgien noch der Ukraine wurde ein MAP zugestanden, dennoch könne Russland behaupten, dass beide Länder früher oder später der NATO beitreten würden, und die Bündniszusage als Vorwand nutzen, um beide Länder zu destabilisieren. Im Rückblick sei dies ein unnötig provokanter Satz gewesen, der wenig dazu beigetragen habe, die Sicherheitslage der Ukraine oder Georgiens zu verbessern, dafür aber umso mehr Russland in dem Entschluss bestärkt habe, seine Vorherrschaft über den postsowjetischen Raum wiederherzustellen.[4]

Siehe auch

Commons: 2008 Bucharest summit – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
  • Gipfel in Bukarest: Nato verspricht Georgien und Ukraine Aufnahme in ferner Zukunft – Russland wütend. In: Spiegel Online, 3. April 2008.
  • Bucharest Summit Declaration. NATO, 3. April 2008; abgerufen am 2. Juni 2024 (englisch). 

Einzelnachweise

  1. ukrinform.net (Nationale Nachrichtenagentur der Ukraine)
  2. Angela Merkel assume son refus d’accueillir l’Ukraine dans l’OTAN en 2008. In: Le Monde. 4. April 2022, abgerufen am 2. Juni 2024 (französisch). 
  3. a b c Paul D’Anieri: Ukraine and Russia. From Civilized Divorce to Uncivil War. 2. Ausgabe. Cambridge University Press, Cambridge 2023, ISBN 978-1-009-31554-8, S. 157–160, doi:10.1017/9781009315555 (englisch).
  4. a b c Angela Stent: Putins Russland. Rowohlt, Hamburg 2019, ISBN 978-3-498-06088-6, S. 179–180 (englisch: Putin’s World. Russia Against the West and with the Rest. New York 2019.). 
  5. Gipfelerklärung von Bukarest 2008. Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der NATO, archiviert vom Original am 21. Februar 2017; abgerufen am 21. Februar 2017. 
  6. Samuel Charap, Timothy J. Colton: Everyone Loses. The Ukraine Crisis and the Ruinous Contest for Post-Soviet Eurasia. The International Institute for Strategic Studies, London 2017, ISBN 978-1-138-63308-7, S. 89 (englisch). 

Paris 1957 | Brüssel 1974 | Brüssel 1975 | London 1977 | Washington, D.C. 1978 | Bonn 1982 | Brüssel 1985 | Brüssel 1988 | Brüssel Mai 1989 | Brüssel Dezember 1989 | London 1990 | Rom 1991 | Brüssel 1994 | Paris 1997 | Madrid 1997 | Washington, D.C. 1999 | Brüssel (NATO-Hauptquartier) 2001 | Rom 2002 | Prag 2002 | Istanbul 2004 | Brüssel (NATO-Hauptquartier) 2005 | Riga 2006 | Bukarest 2008 | Straßburg-Kehl 2009 | Lissabon 2010 | Chicago 2012 | Newport und Cardiff 2014 | Warschau 2016 | Brüssel 2017 | Brüssel 2018 | Watford 2019 | Brüssel 2021 | 2022 (virtuell) | Brüssel 2022 (außerordentlich) | Madrid 2022 | Vilnius 2023 | Washington, D.C. 2024